Nichts ist so gewiss wie der Wandel: In unserer VUCA-Welt (Volatility, Uncertainty, Complexity, Ambiguity) ermöglicht “Futures Literacy” Organisationen äußeren Wandel besser zu verstehen. Oft werden neue Technologien als “disruptive Megatrends” angekündigt, doch stellen sie sich letztlich als bloßer Hype heraus. Das anderen Extreme stellen verpasste Chancen dar. Sie können Teams, Organisationen und sogar ganze Gesellschaften in ihrer Zukunftsfähigkeit einschränken. Somit können falsch eingeschätzte “Opportunities” und “Threats” reale Folgen haben. Studien zeigen: Je weiter ein Unternehmen denkt, desto höher werden Umsätze und Gewinne mittelfristig.
Trendforschung hat die Aufgabe, Dynamiken zu antizipieren und das Wichtige vom Unwichtigen zu trennen. Doch wie lassen sich Trends methodisch erforschen? Darum geht es in diesem “Futures Thinking” Deep Dive zum Thema Gigatrends.
Was ist die Gigatrends-Methode?
Gigatrends ist eine proprietäre Methode der Trendforschung, um Systems Thinking mit Futures Thinking miteinander zu verknüpfen. Denn Systeme sind dynamisch und verändern sich. Ihre Entwicklungen sind sehr zuverlässig und wissenschaftlich gut erfassbar. Das macht sie zu einem idealen Ausgangspunkt, um langfristige Entwicklungen und ihre Auswirkungen z.B. auf Geschäftsmodelle, Handelsbeziehungen, gesellschaftliches Zusammenleben, technologische Entwicklungen und Konsumverhalten zu verstehen und aktiv mitzugestalten.
Warum Gigatrends?
In meiner Arbeit fiel mir häufig auf, wie wenig wir über unseren westlichen Kulturraum hinaus blicken und globale Dynamiken in unsere Entscheidungen mit einbeziehen. Die Welt ist inmitten tiefgreifender Veränderungen. Gerade jetzt braucht es mehr – und nicht weniger – herausragende globale Zusammenarbeit in allen Sphären: wissenschaftlich, unternehmerisch, kulturell und gesellschaftlich, um diese Transformationen als Zivilisation zu meistern.
Auch denken wir im Westen nicht so weit voraus, wie in anderen Kulturen: So ist es in den konfuzianisch geprägten Kulturen Asiens üblich, in mehreren Generationen – sogar in Jahrhunderten – zu denken. Ein Beispiel ist der SoftBank VisionFund: Mit diesem Investmentvehikel sollen Technologie-Ventures finanziert werden, die die Welt der nächsten 300 Jahre entscheidend prägen und verbessern sollen.
Dies kann ich mit einer Anekdote durchaus bestätigen: Bei einer Fundraising-Kampagne für ein Venture fragten mich singapurer Investoren gezielt nach einer Vision, die über das Jahr 2050 hinausging.
Nicht zuletzt ist, wie wir über die Zukunft denken, entscheidend. Die Europäer und besonders die Deutschen neigen zu Pessimismus. Wie wir Zukünfte wahrnehmen – als Dimension für Chancen und Entfaltung, oder als Bedrohung – hat reale Auswirkungen darauf, wir wir uns auf sie schon heute vorbereiten. So geht der Glaube an eine bessere Zukunft mit mehr und besseren Investitionen einher.
Doch Trend ist nicht gleich Trend: Eine Taxonomie dient als Instrument, die Dimension und Einfluss von Trends einzuschätzen und somit unserer komplexen Welt gerecht zu werden. Damit können Organisationen und Individuen entsprechende Strategien entwickeln, um im Angesicht von Veränderungen optimierte Entscheidungen zu treffen.
Megatrends vs Gigatrends.
Jede*r hat bestimmt schon etwas von Megatrends gehört: Das sind einflussreiche strukturelle Entwicklungen, die als Schlüsselthemen die Lebenswirklichkeit einer Gesellschaft prägen. Allerdings: Megatrends sind oft regional beschränkt, z.B. auf einen Kontinent oder Kulturraum (z.B. “der Westen”). Auch bilden sie den Zeitgeist einer ganzen Generation ab. So gibt es in einem alternden Europa mit eher langsamen Wirtschaftswachstum andere Megatrends, als in dem ökonomisch dynamischen Südostasien und dem demografisch boomenden Afrika.
Gigatrends sind tiefgreifende systemische Umwälzungen. Sie sind global und langfristiger: Gigatrends beschäftigen sich mit den Herausforderungen mehrerer Generationen und betreffen in ihrer Tendenz die gesamte Menschheit, oder zumindest den größten Teil. Zudem besitzen Gigatrends ein wichtiges Merkmal: Sie verändern ganze Systeme, bringen neue hervor oder führen den Kollaps bestehender Systeme herbei. So ist der Klimawandel ein Gigatrend, der sich seit dem Beginn des Industriezeitalters über viele Generationen erstreckt und in allen Teilen der Welt spürbar ist.
Gegenwärtig gehören unter anderem Postkapitalismus, Urbanisierung, Digitalisierung, Globalisierung und demografischer Wandel zu den bekanntesten Gigatrends. Sie helfen, Megatrends präziser zu verstehen und bieten zuverlässige Indikatoren für zukünftige Entwicklungen, da sie auf wissenschaftlich breiten Füßen stehen. Megatrends leiten sich von Gigatrends ab: so könnte eine Ableitung des Gigatrends “Demografischer Wandel” der Megatrend “Silver Society” sein. Wichtig sind hierbei die Beziehungen zueinander. Ein Gigatrend “Demografischer Wandel” kann mehrere Megatrends in Gang setzen, die sich wiederum untereinander beeinflussen. Denn während bis 2050 ein Teil der Welt immer älter wird (“Silver Society” in Europa) und ein anderer den Hauptteil aller jungen Menschen stellt (“Youth Boom in Afrika”), ergeben sich völlig neue Kräfteverhältnisse, die in facettenreichen Szenarien und letztendlich Strategien ihren praktischen Ausdruck finden sollen.
Achtung Hypes: Wenn Nanotrends ganz groß werden
Ein klassischer Hype waren im Jahr 2021 NFTs. So plötzlich, wie sie ins Rampenlicht traten, so schnell verschwanden sie auch wieder. Trotz ihres revolutionären Potenzials und der kurzfristigen Erfolge von Künstler:innen und der Crypto-Community zeigt dieses Beispiel, wie kurzlebig Nanotrends sein können, wenn sie aus dem Zusammenhang gerissen werden. Ein besseres Verständnis über die größeren Kontext des Megatrends “Web3” könnte die prinzipiell disruptive Technologie hinter NFTs langfristig und in einer neuen Form wiederaufleben lassen.
Von Giga zu Nano.
Gigatrends und Megatrends sind ja schön und gut – aber wie bette ich sie in meinen Alltag ein? Das Stichwort heißt: kaskadieren, also von groß nach klein zu denken. Der Vorteil daran ist, dass Trends sich somit elegant in Strategien einbetten lassen. Zudem machen sie ersichtlich, welches Ergebnis von einer Trendforschung erwartet wird. Zum Beispiel dient eine Gigatrend-Analyse vor allem dazu, die Vision und die Aspiration eines Unternehmens in Worte zu fassen und in einer überprüfbaren Logik zu verankern. In der Geopolitik gibt es exzellente Beispiele, wie Chinas Vision 2049 und die Agenda 2063 der Afrikanischen Union.
Außerdem lassen sich Methoden zuordnen, um Trends von ihrer globalen Perspektive auf die kleinteilige und handhabbare Ebenen herunterzubrechen – somit werden sie umsetzbar und bleiben dennoch methodisch robust, ohne jedoch von ihrer Agilität einzubüßen und Veränderungen darin ihren Ausdruck finden. Dies ist wichtig, um bei internen und externen Stakeholdern punkten zu können. So hat der SoftBank Vision Fund seine 300 Jahre Vision in ein 30-jähriges Mission Statement heruntergebrochen – oder auch: kaskadiert.
Fazit: Die Gigatrends-Methode bietet einen systemischen Ansatz, um langfristige Entwicklungen zu verstehen und aktiv mitzugestalten. Durch die Kaskadierungsmethode lassen sich Trends auf alle Ebenen des Alltags anwenden, von globalen Strategien bis hin zu spezifischen Produktentwicklungen. Dies ist entscheidend, um in einer dynamischen Welt zukunftsfähige Ergebnisse zu erzielen und den Wandel über mehrere Generationen hinweg aktiv zu gestalten.